Wo der Jazz das Wandern lernt
Eine Woche westfälischer Resonanzen
FEATURED ON HOMEPAGE
Sebastian Netta
6/27/20253 min read


Persönliche Notizen von Sebastian Netta
Diese Woche in Heek hat mich verändert. Nicht spektakulär, nicht mit Getöse, sondern still, fast beiläufig – und gerade darin liegt ihre Kraft. Was wir in der Landesmusikakademie erlebt haben, war weit mehr als eine Probenphase. Es war eine Schule der Aufmerksamkeit, ein Raum für Vertrauen, eine Feier der Vielfalt. Ich bin mit offenen Ohren hingefahren und mit einem offenen Herzen zurückgekommen.
Schon in Unna, beim ersten Treffen zu viert (Romy war noch nicht dabei), spürte ich: das passt. Die Chemie stimmte, der Humor war da, und vor allem der gemeinsame Wille, etwas zu schaffen. Kein Musiker kam mit einem Ego-Koffer, alle kamen mit Ideen. Als Romy später dazu kam, war das Quintett komplett – und die Verbindung fast unmittelbar. Diese Basis, so spürte ich vom ersten Tag an, war der eigentliche Schatz: eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts, getragen von Aufmerksamkeit, nicht von Lautstärke.
Die Grundlage unserer Arbeit waren deutsche Volkslieder – Lieder, die viele für angestaubt halten, für folkloristische Staffage. Wir aber haben sie wie Fundstücke behandelt, wie Klangfragmente aus einer Zeit, die nicht vergangen ist. „Mein Vater war ein Wandersmann“ – ein Lied, das wir alle kennen – erwachte plötzlich zu neuem Leben, als Alberto Arteta uns erzählte, dass dieselbe Melodie in Pamplona als „Polonesa“ seit Jahrhunderten gesungen wird. Er hat das Stück kraftvoll arrangiert, Romy sang es mit einer Offenheit, die das Publikum nicht nur erreichte, sondern einbezog. Plötzlich sangen alle mit. Es war kein deutsches Lied mehr. Es war ein europäisches.
So war es auch bei anderen Stücken: „Wenn ich ein Vöglein wär“ bekam durch Albertos Rhythmik eine afrikanische Grundierung. Claudio verband „Sah ein Knabe ein Röslein stehn“ und „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ in einem modalen Fluss, getragen von einem Ostinato, das wie ein fernes Echo klang. Ugonna brachte mit seiner Version von „Der Lindenbaum“ eine rhythmische Raffinesse ins Spiel, die so unangestrengt wirkte, als sei Schubert von New York aus gedacht worden. Und dann war da noch das alte Lied „Kommt ihr spielen?“, das sich wunderbar mit einem Bill-Evans-Harmoniegerüst kombinieren ließ. Ich hätte nie gedacht, wie gut das passt – aber genau solche Überraschungen waren es, die diese Woche geprägt haben.
Der kreative Prozess war offen und respektvoll. Es wurde viel ausprobiert. Manches wurde verworfen – auch von mir. Aber nie aus Prinzip, nie mit Groll. Es war ein musikalischer Diskurs, demokratisch im besten Sinne. Jeder wurde gehört. Jeder hörte zu. Das war vielleicht das Schönste.
Und abseits der Musik? Die Tage in Heek hatten eine stille Dichte. Es war kein Arbeitslager, keine Auszeit, kein Wellness. Es war genau das, was wir brauchten: ein gemeinsamer Rhythmus. Gespräche im Garten. Lachen bei westfälischem Abendbrot. Ein Ausflug nach Gescher ins Glockenmuseum. Morgens das Glockengeläut der Kirche neben dem Schlafsaal. All das verwob sich zu etwas, das sich nicht planen lässt: Vertrautheit.
Wenn ich heute zurückblicke, dann mit Stolz – ja, ganz bewusst –, aber auch mit einer tiefen, warmen Zufriedenheit. Diese Woche war der Lohn vieler Monate Arbeit, voller Mails, Pläne, Zweifel. Und sie hat mir gezeigt: Es lohnt sich. Nicht, weil es geglückt ist. Sondern weil es geglückt ist, ohne etwas zu behaupten. Ohne Effekthascherei. Ohne Show.
Was bleibt? Für mich persönlich ein Gefühl großer Dankbarkeit. Und der Wunsch, dieses Format weiterzutragen. Nicht weil es erfolgreich war – sondern weil es wahr war. Kein Signature Tune steht für diese Woche. Sondern das Ensemble selbst. Die Freundschaft. Das offene Ohr füreinander.
„Ihr gebt dem europäischen Gedanken ein musikalisches Gesicht.“ – dieser Satz fiel in einem unserer Konzerte. Ich trage ihn jetzt mit mir. Und ich wünsche mir, dass auch andere ihn hören können.

Kontakt: Sebastian Netta - Propsteistrasse 46, 48145 Muenster (GE), Phone +49 172 6611572
Email: netta@wuw-konzerte.de
Jazz-Jumelage is part of: