Meeting Theo November 24
Ein Streifzug durch die Straßen Utrechts und die Magie des Moments
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S. Netta
11/10/2024


Ein Streifzug durch die Straßen von Utrecht und die Magie des Moments
Da ist er wieder, dieser Moment, dieser seltsame, schwer zu fassende Augenblick, in dem sich die Zeit dehnt und die Welt plötzlich in kristallklarer Schärfe erstrahlt. Ein Streifzug durch die alten Gassen Utrechts mit Theo de Jong, einem Musiker und Kenner der Stadt, der jede Ecke dieser Stadt nicht nur zu kennen, sondern geradezu zu fühlen scheint. Sein Blick streift über die Fassaden, als würde er alte Freunde begrüßen. Ich folge ihm, einem geduldigen Führer, der die Geheimnisse seiner Stadt wie ein gutes Buch Stück für Stück preisgibt.
Theo ist seit seiner Kindheit mit Musik verbunden. Sein Vater betrieb eine Musikschule im Herzen Utrechts. Theos Erfahrung in der Musikwelt ist von Weltniveau, und er hat seine Erfolge auf der ganzen Welt gefeiert, vor dem größten Publikum. Aber er ist, wie so viele seiner niederländischen Kollegen, bodenständig und vollkommen unprätentiös geblieben. Er ist ein Herzensmensch, jemand, der sich vollständig der Musik verschrieben hat und nicht dem Ruhm (obwohl er berühmt ist). Er hat vierzig Jahre lang an der Universität Utrecht Bass unterrichtet. Seine Augen leuchten, wenn er von seinen Erfahrungen aus dieser Zeit berichtet, denn er hat, so sagt er mit einem Lächeln im Gesicht, durch das Unterrichten selbst am meisten gelernt. Er übt immer noch jeden Tag und taucht in die Musik und seine Fingerfertigkeiten ein, weil es ihn fasziniert und er die Euphorie beim Spielen immer noch spürt. Musik ist für ihn das Lebenselixier und genau das verbindet uns. Wir resonieren auf der Ebene der musikalischen Erfahrungen und empfinden die gleiche Euphorie und den Flow in der Musik. Noch stets spielt er mit den besten Musikern und in unterschiedlichen Bands. Ich hatte ihm am Abend vor unserem Treffen in der Fay Claassen Band in Apeldoorn hören dürfen. Ich kann nur jedem empfehlen, Theo live zu hören. Weltniveau!
Mich fasziniert die Verspieltheit und die vielen ästhetischen Läden und Cafés, die schönen Straßen und die Architektur, die mich an diesem Morgen so beeindruckt. Die Gassen, die im morgendlichen Nebel fast ehrfürchtig wirken, das langsame, zielgerichtete Gleiten der Boote, die heute nicht mehr zu sehen sind, deren Anwesenheit man sich aber lebhaft vorstellen kann – wie mag es früher gewesen sein, als die Boote noch Waren anlieferten – die alten Häuser mit ihren leicht schiefen Balken, die den Zeiten trotzen. Die alten Häuser sind geprägt von Mittelalter, Barock, sowie Art Nouveau- und Art Deco-Stilen, die seinerzeit schon eine Neuerung darstellten, heute jedoch eine Ästhetik zeigen, die mir persönlich sehr zusagt, während sie im Gegensatz zu den sehr modernen Gebäuden, wie etwa dem Bahnhof, wie ein Steampunk-Museum wirken. Hier, in Utrecht, scheint es, als pflegten die Menschen und ihre Stadt eine stille, intime Verbindung, als trügen und stützten sie sich gegenseitig. Ein seltener Anblick in einer Welt, die so oft in atemlosem Fortschritt verloren geht.
Die Volkslieder – Sehnsucht nach einer verlorenen Welt
Theo und ich setzen uns in ein kleines Café, ein Ort, der nur als stiller Beobachter am Rande dieser Stadt existiert. Der Raum riecht nach Kaffee und frisch gebackenem Brot, und ich kann mir nichts Passenderes vorstellen, um über Volkslieder zu sprechen – diese seltsamen kleinen Zeitkapseln, die ein Gefühl von Vertrautheit und Nostalgie hervorrufen und doch oft in ihrer Aktualität verblassen. Vor allem ist so wohltuend in den Cafés, die Theo mir zeigt: kein Musikgedudel im Hintergrund. Wir werden nicht abgelenkt. Welch eine Wohltat für die geschundene Musikerseele, die vom belanglosen Klangbrei so gequält wird. Die Gedichte und Melodien, die einst von Generation zu Generation weitergetragen wurden, erscheinen uns heute manchmal wie Postkarten aus einer fernen, längst verblichenen Welt. Doch ist diese Welt wirklich verloren?
„Es ist die Zeitlosigkeit, die wir suchen“, sagt Theo und nimmt nachdenklich einen Schluck von seinem Kaffee. „Aber wir müssen auch anerkennen, dass die Volkslieder der vergangenen Jahrhunderte eine Sprache sprechen, die der modernen Musik oft fremd bleibt.“ Wir diskutieren, wie die Harmonien und Rhythmen, die der Jazz so elegant beherrscht, den Volksliedern eine neue Dimension verleihen könnten – eine Brücke, die Vergangenheit und Gegenwart vereint. Ich nicke, fühle die Spannung, die in dieser Idee liegt. Es ist das Gewicht der Geschichte, das durch die Melodien hindurchfließt, doch es verlangt nach einem neuen Klang, einer neuen Interpretation, die der Jetztzeit entspricht.
Musik als Erneuerung und Erinnerung
Wir beschließen, uns ein paar Lieder vorzunehmen – einfache Stücke, die wir mit sparsamen, aber effektiven Mitteln arrangieren wollen. Nicht, um sie zu überarbeiten, sondern um sie im besten Sinne zu erneuern. Wir nehmen uns vor, die Musik in die Moderne zu holen, ihren Geist zu erhalten, aber auch mutig mit dem Material umzugehen. Es sollen Stücke entstehen, die, ähnlich dem Real Book, eine gute Basis für Improvisationen geben werden. Jazz als Vehikel für Erinnerung und Fortschritt zugleich, improvisierte Klangwelten, die die alten Melodien in eine zeitgenössische Umarmung nehmen. Es ist, als ob wir in der Musik ein Terrain betreten, das sich jeder Festlegung entzieht. Die Melodien, so einfach sie auch sein mögen, werden zu Spuren, die wir im Moment betreten und formen. Ähnlich der Wirkung der Stadt, in der wir uns treffen, eine Melange aus Altem und Modernem, eine Art Collage, die eine eigene Sprache entwickelt und viele Anknüpfungen liefert für das Publikum.
„Markus Gahlen“, sage ich zu Theo und zeige ihm auf meinem Handy ein Video des Sängers und Gitarristen, dessen Klang mich an den offenen Raum erinnert, den wir in unserer Musik schaffen wollen. Theo schaut sich das Video an und nickt. Da ist etwas in Markus’ Art zu singen, das die Barrieren zwischen Tradition und Moderne auflöst – ein Klang, der sich nicht festlegen lässt und genau deshalb so nahbar wirkt. Theo lächelt, und ich sehe, wie die Idee in ihm zu wachsen beginnt. Ein neuer Partner für unsere musikalische Reise, eine Stimme, die vertraut und fremd zugleich klingt. Wir fühlen beide die Kraft dieser Verbindung, die in uns zu brodeln beginnt.
Eine Reise beginnt – und mit ihr die Frage nach dem Warum
Als wir das Café verlassen, ist es regnerisch und grau. Aber das macht nichts. Im November ist es eben so. Die Menschen sind fröhlich und gesellig. Ich fühle mich seltsam bewegt, als würde die Stadt selbst Teil unserer Pläne und Visionen werden. Musik, so wird mir einmal mehr bewusst, ist nicht nur ein Klang, ein Zusammenspiel von Tönen und Harmonien. Sie ist die Essenz unserer Erinnerungen, unserer Hoffnungen, und sie kann – wenn wir uns darauf einlassen – eine heilende, fast magische Kraft besitzen.
In diesen Momenten wachsen die Ideen zum Projekt 'Westfälische Resonanzen' und bekommen Input, das nicht auf Perfektion, sondern auf dem Gefühl basiert, dass Musik uns zu etwas Höherem führen kann. Inmitten der modernen Welt, die so oft in Effizienz und Fortschritt erstarrt, wird Musik zum Widerstand, zur Botschaft, dass das Alte und das Neue, das Vergangene und das Zukünftige in einem ewigen Dialog stehen.
Wir brechen auf zu einer Reise, die uns zu den Quellen der Melodien führt, die seit Jahrhunderten in der Luft liegen und doch jeden Tag neu entdeckt werden müssen.







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